Letzte Woche habe ich einen Artikel über mein Getting Things Done-Setup und Workflow geschrieben. In knapp 2900 Wörtern hatte ich versucht, die Organisationshilfe von David Allen soweit wie möglich zusammenzufassen.

Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich Ihnen als Leser gerade mal einen Blick knapp unterhalb der Oberfläche vermittelt habe. Den Artikel wollte ich aber nun auch nicht weiter aufblähen.

Also beschloss ich spontan, den Artikel mit einem angekündigten Livestream auf Periscope zu ergänzen. Zum einen, weil ich durch den Einsatz von Video den GTD-Workflow viel besser erklären konnte, zum anderen, weil ich die Story auf einem anderen Medium weitererzählen wollte.

Ohne bewusst darüber nachzudenken, habe ich damit für mich das transmediale Storytelling entdeckt. Und was soll ich sagen – I LOVE IT! Für mich ist es ein ideales Werkzeug, mit dem man seinen Content-Marketing-Mix nach vorne bringen kann.

Takeaways

In diesem Artikel können Sie lernen,

  • was Transmedia Storytelling bedeutet und warum man es nicht mit Crossmedia Marketing vergleichen kann.
  • wie man transmediales Storytelling einsetzt, gezeigt an einem Best-Practice-Beispiel des Sendeformats „Köln 50667“ von RTL 2.
  • wie Sie den Ansatz des transmedialen Erzählens für Ihr Content-Marketing nutzen können.

Der Status Quo in der digitalen Medienlandschaft

Der Begriff „Content-Schock“ hat letztes Jahr die Runde gemacht und für viel Aufregung gesorgt. Damit ist gemeint, dass immer mehr Content jeglicher Art auf die Zielgruppe einprasselt und zwar über alle möglichen Kommunikations-Kanäle.

Mael Roth in einem Artikel treffend beschrieben, wie die Zielgruppe damit umgeht, und welche Konsequenzen das für Content-Anbieter hat – denn kein Mensch hat auf Ihren Content gewartet. Neuer Content aus fremden Quellen hat es somit schwer, ein frisches Publikum für sich zu begeistern.

Zudem ist eine zunehmende Diffusion bei der Nutzung von Medien zu beobachten. Beispielsweise hört ein Nutzer beim Frühstück eine Meldung im Radio, checkt in der U-Bahn auf seinem Smartphone seinen favorisierten Newsanbieter nach mehr Informationen, verfolgt in seiner FB-Timeline am Arbeitsplatz die Breaking News und schaut vielleicht am Abend noch die Tageschau für eine Zusammenfassung. Vielleicht liest er am Sonntag noch die Wochenzeitung, um eine ausführliche Analyse der Ereignisse zu lesen.

In diesem Beispiel wird auch eine Geschichte erzählt – aber von verschiedenen Geschichtenerzählern aus verschiedenen Perspektiven sowie mit unterschiedlichen Medien.

Der Nutzer hat sich also daran gewöhnt, eine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln und durch unterschiedliche Formate zu betrachten. Kann man das auch für das eigene Storytelling nutzen?

Man kann. Aber zuvor sollte man klären, was Transmedia Storytelling eigentlich ist und was nicht.

Was ist Transmediales Storytelling

Der Begriff Transmedia Storytelling wurde das erste Mal von Prof. Henry Jenkins in den 1990er Jahren verwendet. Er bezeichnete darin einen Prozess, in dem „integrale Elemente einer Geschichte systematisch über eine Vielzahl von Kommunikationskanälen übermittelt werden mit dem Ziel, einen einheitlichen und koordinierten Unterhaltungswert zu erreichen“ (Quelle: Jenkins/Ford/Green, 2013).

Hier eine Präsentation über Transmedia storytelling from Benjamin Hoguet

Gemeint ist also, dass eine Geschichte auf mehreren Kanälen gleichzeitig erzählt wird – via Fernseher, über Facebook, mittels Games, Bücher, Hörerlebnissen und sonstigen erdenklichen mehrdimensionalen Plattformen.

Transmedia Storytelling bedeutet nicht, dass man dieselbe Geschichte an verschiedene Medienformate anpasst und dann über unterschiedliche Kommunikationskanäle auf die Zielgruppe abfeuert. Das würde eher unter Crossmedia Marketing fallen.

Der springende Punkt ist, das über unterschiedliche Kanäle verschiedene Erzählstränge zusammenlaufen um letztendlich eine große, zusammenhängende Story zu ergeben.

Best-Practice: Fernsehformat „Köln 50667“

Der Cast des Fernsehformats "Köln 50667".

Der Cast des Fernsehformats „Köln 50667“. / Quelle: www.rtl2.de

An meiner Uni hatten wir in dem Studienfach „Entwicklung auf Medienmärkten“ bei Herr Prof. Alexander Loskant ein in meinen Augen sehr gutes Beispiel für Transmedia Storytelling,  das Fernsehformat „Köln 50667“ von RTL 2.

Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von jungen Menschen aus Köln, deren (fiktiver) Alltag täglich im Abendprogramm gesendet wird. Der Plot mag auf den ersten Blick nicht interessant erscheinen, aber die Umsetzung ist der Clou bei diesem Fernsehformat.

Durch den geschickten Einsatz von verschiedenen Erzählsträngen über unterschiedliche Medienformate hinweg hat Köln 50667 sich mit den Jahren eine riesige und harte Fanbase erarbeitet.

Grund für diesen Erfolg ist der Einsatz von zentralen Bestandteilen des Transmedia Storytellings, welche am Beispiel der Serie gut verdeutlichen werden kann.

Zentrale Bestandteile des Transmedia Storytellings

  1. Transmediality: die Stärken jedes Mediums werden durch das Transmedia Storytelling genutzt.

Köln 50667 wird nicht nur im Fernsehen übertragen, sondern besitzt unter anderem auch mehrere Social-Media-Accounts, eine eigene App sowie ein Print-Magazin, auf denen die Geschichte der Protagonisten weitererzählt werden.

  1. Claiming Reality: die Fiktion rückt so nah wie möglich an die Realität.

Keiner der Szenen, die für das Format gedreht werden, wird im Studio aufgenommen, sondern an echten Locations bzw. auf der Straße. Der Realitätsgrad der Soap macht es mitunter schwer, Fiktion und Wirklichkeit auseinander zu halten.

  1. Story Universe: der Rezipient wählt nicht mehr einen Erzähl-/Handlungsstrang aus, sondern er kreiert aus mehreren Handlungssträngen sein Story Universe.

Zuschauer können sich aussuchen, wo und wann Sie zusätzliche Informationen über die Protagonisten beziehen, z.B. über die App, diversen sozialen Netzwerke oder halt im Fernsehen.

  1. Rabbit Holes: Verschiedene Medien und die Art, wie sie verwendet werden, bieten mehrere Einstiegspunkte in die Geschichte.

Es kann sein, dass der Zuschauer gar nicht über das Fernsehen in das Story Universe einsteigt, sondern bspw. über Facebook und dann erst die Soap im TV anschaut.

    1. Interactivity: die Rezipienten kommunizieren untereinander mit realen und fiktiven Personen und nehmen aktiv an der Geschichte teil.

Die Protagonisten interagieren via Social Media mit den Fans und tauschen sich mit Ihnen über die unterschiedlichsten Plattformen aus. Dabei nehmen Sie ständig die Rolle „Ihrer“ Figur ein.

  1. Location Based Storytelling: der Rezipient kann reale Orte besuchen, an dem die Geschichte stattfindet.

In der Soap ist eine wichtige Location die Bar am Kölner Hauptbahnhof, welche auch für den normalen Publikumsverkehr frei gegeben ist.

  1. Infinitude: das Story Universe ist der Nährboden für unendlich viele Fortsetzungen und Wiederverwendungen von Story-Elementen

Bevor Köln 50667 gestartet ist, gab es die Serie „Berlin – Tag & Nacht“. Einer der Hauptdarsteller aus dieser Soap ist innerhalb des Story Universe dann von Berlin nach Köln gezogen, was gleichzeitig der Startschuss für „Köln 50667“ war.

  1. Multipayment: Free-Modelle ermöglichen eine große Anzahl möglicher Erlösmodelle.

In erster Linie ist das Erlösmodell von RTL 2 das Werbegeschäft. Durch Free Content wird eine hohe Reichweite bei der Zielgruppe aufgebaut, was wiederum zu hohen Werbeeinnahmen führt.

Laut eigenen Angaben lagen für das Format im März 2015 ein Jahreshöchstwert von 12,4 % Markanteil vor. (Quelle: AGF in Zusammenarbeit mit GfK; TV Scope, BRD Gesamt, 01.03.2015.-31.03.2015)

  1. Collaborative Work: das Story Universe wird in Zusammenarbeit mit einem vielseitigen Team entwickelt.

An der Produktion arbeiten verschiedene Spezialisten (Social-Media-Marketing, Community-Manager, TV-Produzenten, etc.) zusammen, die gemeinsam die Story nach vorne bringen.

  1. User Generated Content: dem Rezipienten wird an ausgewählten Stellen ermöglicht, die Geschichte selber zu gestalten.

Über die Sozialen Netzwerke werden die Zuschauer zu einem bestimmten Thema um Ihre Meinung gefragt. Diese hat dann Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Serie.

Transmediales Storytelling im Content-Marketing

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Eignet sich der transmediale Ansatz des Storytellings im Content-Marketing? / Quelle: deathtostockphoto.com

„Eignet sich transmediales Storytelling denn auch für mein Content-Marketing?“ fragen Sie sich jetzt sicherlich.

Sabine Haas von result – Institut für digitalen Wandel würde diese Frage sicherlich mit Nein beantworten. In ihrem Blogartikel schreibt sie,

„(…), dass transmediales Storytelling in keinem Fall ein Instrument des Contentmarketing sein kann. Transmediales Storytelling ist ein artifizieller, hochgradig künstlerischer Ansatz. Es ist ein spannendes Experiment, dass die Möglichkeiten und Grenzen multimedialer Vernetztheit ausleuchtet. Für alltagstauglich halte ich transmediales Storytelling nicht.“ – Sabine Haas

Prof. Egbert van Wyngaarden, Vordenker im digitalen Storytelling, sieht das anders. Er schreibt in einem Artikel (erschienen auf „FourScreens – Blog für Online-Video, Storytelling und Marketing“) über die Wirkung von Transmedia Storytelling beim Rezipienten:

„Das menschliche Gehirn bildet Erinnerungen aus einer Kombination von Emotionen und Erkenntnissen. Soll eine Information wie eine Markenbotschaft in den Köpfen hängen bleiben, bettet man sie am Besten in einen emotionalen Kontext ein. (…) Wer eine Botschaft verbreiten will, sollte daher möglichst auf allen Kanälen präsent sein und dort jeweils einen eigenen Mehrwert für die User schaffen. Ein solcher transmedialer Ansatz funktioniert allerdings nur, wenn man sich konsequent auf den emotionalen Kern der Botschaft bzw. die Vision eines Unternehmens oder eines Produktes besinnt.“ – Prof. Egbert van Wyngaarden

Fazit: Transmedia Storytelling möglich, aber…

Meiner Ansicht nach ist das Transmediale Storytelling sehr wohl für das Content-Marketing geeignet – wenn es denn auch richtig umgesetzt wird.

Die Entwicklung von individuellen Erzählsträngen, die über angepasste Medienformate an die Zielgruppe gestreut werden, um ein komplettes Story-Universum aufzubauen wäre die Königsdisziplin im Content-Marketing. Es würde dem Rezipienten mehrere Zugänge zu einer Markenwelt bieten, in dem er selber auswählen könnte, welchem Handlungsstrang er folgt und über welches Medium er dies tut.

Allerdings ist dies ein ambitioniertes Vorhaben, welches ressourcenintensiv und somit kostspielig wäre. Insofern hat Sabina Haas Recht, wenn Sie es für „nicht alltagstauglich“ hält. Davon abgesehen wäre es in meinen Augen aber ein möglicher Weg, eine langfristige und nachhaltige Kundenbeziehung aufzubauen.

Denn sind wir nicht selber auf der Suche nach solchen „Story Universen“, wenn wir durch das Web browsen?

Wünschen wir uns nicht selber, innerhalb einer solchen zusammenhängenden Welt mit unseren Lieblingsbrands zu kommunizieren? Wann, Wo und Wie wir wollen?

Was meinen Sie? Käme so ein Ansatz für Ihr Unternehmen in Frage? Wenden Sie Transmediales Storytelling schon an bzw. stecken mitten in der Planung? Oder denken Sie auch, dass Transmedia Storytelling zu ambitioniert ist?

Diskutieren Sie im Kommentarfeld mit oder schreiben Sie mir unter Info(at)babak-zand.de. Ich freue mich auf Ihren Beitrag!

Posted by Babak Zand

Ich helfe Unternehmen durch agiles Marketing, eine dokumentierte, nutzerorientierte Content-Strategie für deren digitale Kommunikation zu entwickeln.